Die Pulsdiagnose in der TCM

In der Traditionellen Chinesischen Medizin ist die Pulsuntersuchung seit Jahrtausenden ein fester Bestandteil der Diagnostik. Im Laufe dieser langen Zeit hat sich die Kunst entwickelt, anhand des Pulses Rückschlüsse auf die Vorgänge im Inneren des Körpers zu ziehen.


Die Pulsdiagnose wird normalerweise in der modernen Medizin ziemlich eingeschränkt verwendet. Viele Ärzte beschränken ihren Blickwinkel auf die Frequenz des Pulses. Auf diese Art kann man allerdings leider nur ein sehr eingegrenztes Bild der Vorgänge im Körper gewinnen.


Auf dieser Seite wird erklärt, wie die chinesische Pulsdiagnose verwendet werden kann, um einen tiefen Einblick in das Innere des Körpers zu bekommen und so Krankheitsmuster zu erkennen.


Zunächst wird das richtige Vorgehen bei der Pulstastung beschrieben. Danach wird auf einige diagnostisch relevante Eigenschaften des Pulses eingegangen und die dabei wirkenden Mechanismen werden beschrieben.

Das richtige Vorgehen bei der Pulsdiagnose

Um die Pulsdiagnostik korrekt anzuwenden, ist das richtige Vorgehen bei der Durchführung wichtig. Der Patient sollte Gelegenheit haben, ohne körperliche Anstrengung oder emotionale Aufregung ruhig zu sitzen, damit der Puls nicht durch diese Einflüsse verändert wird. Man versucht, eine möglichst normale Situation für den Patienten herzustellen.

Der Unterarm des Patienten sollte auf einer ebenen Fläche abgelegt werden, der Patient muß dabei in einer bequemen Körperhaltung sitzen und der Arm darf nicht abgeknickt oder verdreht sein. Man kann auch ein kleines Kissen unter das Handgelenk legen. Wichtig ist, daß Schulter, Arm und Hand des Patienten locker und entspannt sind.

Der Untersucher sitzt im rechten Winkel zum Patienten. Dann legt der Untersucher den Zeigefinger auf die Mulde am Handgelenk unterhalb des Daumenballens und die anderen beiden Finger daneben, wie auf dem folgendem Foto gezeigt.

Man kann auch bei sich selbst den Puls fühlen, in diesem Fall sollte man eine der beiden folgenden Haltungen verwenden:

Wenn man die Finger richtig positioniert hat, kann man einen normalen Puls unter allen drei Fingern fühlen. Krankhafte Pulse sind manchmal nicht unter allen drei Fingern zu spüren oder nicht gleichmäßig zu spüren. Daher ist es gut, wenn man zuvor an gesunden Personen etwas Erfahrung gesammelt hat. Alle drei Finger sollten immer mit dem gleichen Druck aufgelegt werden, so daß hierdurch keine Verfälschung des Ergebnisses eintritt.

Man legt die Finger zuerst nur ganz sanft auf, so daß man gerade die Haut an allen drei Stellen berührt. Danach drückt man etwas tiefer ein und im dritten Schritt noch tiefer. Wichtig ist, jeweils an allen Stellen gleich stark zu drücken!

An jeder Position fühlt man den Puls bis man den Charakter des Pulses klar erfaßt hat. Leider passiert es häufig, daß die befühlte Person sich durch länger andauernde Pulstastung gestreßt fühlt und der Puls sich dadurch verändert. Wenn das passiert, ist es besser, mehrmals für eine kurze Zeit, den Puls zu fühlen.

Die verschiedenen Aspekte des Pulses

Das Entstehen der Pulswelle

Die am Handgelenk fühlbare Pulswelle entsteht durch das Zusammenziehen des Herzmuskels, der das Blut durch den Körper pumpt. Durch das Zusammenziehen des Herzmuskels wird eine Welle von Blut durch die Blutgefäße geschickt.  Diese Welle kann man dann zum Beispiel wie oben gezeigt, am Handgelenk fühlen.

Eine normale Pulswelle sieht wie eine Sinuskurve aus. Die Verteilung der Gipfel und Täler ist regelmäßig und hat ungefähr eine mittlere Höhe.

Die Frequenz des Pulses

Unter Frequenz versteht man die Anzahl der Pulsschläge in einer bestimmten Zeiteinheit. Das menschliche Herz zieht sich unter normalen Umständen ca 70 mal pro Minute zusammen.

Hohe Frequenz

Wenn der Herzmuskel sich schneller als normal zusammenzieht, gibt es pro Zeiteinheit mehr Pulsschläge.  Die Pulswelle sieht dann ungefähr so aus:

Niedrige Frequenz

Wenn der Herzmuskel sich langsamer als normal zusammenzieht, zählt man weniger Pulsschläge pro Zeiteinheit. Die Pulswelle sieht dann so aus:

Der Rythmus des Pulses

Der Rhythmus des Pulses hängt vom Rhythmus des sich zusammenziehenden Herzmuskels ab. Wenn das Herz sich ruhig und regelmäßig zusammenzieht und wieder entspannt, ist auch die Pulswelle gleich- und regelmäßig.

Bei innerer Stagnation sind die Nervenimpulse nicht so gleichmäßig. Die Unregelmäßigkeiten können sich sowohl im Aspekt des Rhythmus als auch bei der Amplitude zeigen.

Wenn der Rhythmus des Pulses unregelmäßig ist, deutet das auf wechselhafte Impulse beim Zusammenziehen des Herzmuskels hin. Wenn die Amplitude unregelmäßig ist, zieht sich der Herzmuskel unterschiedlich stark zusammen.

 

regelmäßiger Rhythmus

Der Herzmuskel zieht sich harmonisch und regelmäßig zusammen.

unregelmäßige Rhythmus

Durch Stagnation oder andere Störungen zieht sich der Herzmuskel nur unregelmäßig zusammen.

Die Pulsamplitude

Die Amplitude ist die Abweichung der Pulswelle von der Nulllinie. Die tastbare Höhe oder Größe der Amplitude ist von der Stärke der Kontraktion und der Spannung im Blutgefäß abhängig. Je stärker das Zusammenziehen des Herzmuskels und je entspannter das Blutgefäß, desto höher (größer) die Amplitude der Pulswelle.

Große Amplitude

Starke Kontraktion (Zusammenziehen) des Herzmuskels und entspannte Blutgefäße

Kleine Amplitude

Schwache Kontraktion (Zusammenziehen) des Herzmuskels und angespannte Blutgefäße

Das Anfluten der Pulswelle

Abhängig davon, wie schnell sich der Herzmuskel zusammen zieht, flutet die Pulswelle mehr oder weniger steil an. Bei einer schnellen Kontraktion des Muskels wird eine Welle mit steilem Anstieg, bei einer langsamen Kontraktion eine Welle mit flachem Anstieg erzeugt.

Steiles Anfluten der Pulswelle

Wenn der Herzmuskel sich sehr schnell zusammenzieht, dann finden sich steile Berge mit steilen Hängen, wie auf dem folgenden Bild dargestellt.

Flaches Anfluten der Pulswelle

Wenn der Herzmuskel sich nur schwach zusammenzieht, dann finden sich flachere Berge mit sanften Hängen, wie auf dem folgenden Bild dargestellt.

Harte und weiche Pulse

Blutgefäße sind Muskelschläuche, die sich anspannen und entspannen können. Diese Anspannung in der Muskulatur des Blutgefäßes wird durch die Nervenimpulse gesteuert. Äußere Reize wie Kälte und Hitze sowie innere Einflüsse wie Gefühle, oder der Grad der Erschöpfung beeinflussen die Anspannung der Muskulatur der Blutgefäße.

Angespanntes Blutgefäß

Wenn die Muskeln der Blutgefäße angespannt sind,wird der Raum im Blutgefäß kleiner, so daß weniger Blut durchfließen kann. Das Bild unten zeigt, wie ein Blutgefäß im Querschnitt angespannt aussieht. Man sieht eine relativ dicke Wand und nur eine kleine Öffnung in der Mitte. Der Puls fühlt sich „hart“ oder „gespannt“ an, ähnlich wie eine Gitarrenseite.

Entspanntes Blutgefäß

Wenn das Blutgefäß entspannt ist, kann man eine große Öffnung in der Mitte sehen und der umlaufende Muskelwulst ist dünn. So ein Blutgefäß fühlt sich „weich“ an, wenn man die Finger darauf legt. Das Bild zeigt ein entspanntes Blutgefäß im Querschnitt. Diese „Entspannung“ kann auch durch eine energetische Schwäche wie Qi Mangel oder Yin Mangel bedingt sein.

Oberflächliche und tiefe Pulse

Man kann zwischen oberflächlich tastbaren Pulsen und solchen, die man nur mit mehr Druck in der Tiefe tasten kann, unterscheiden. Fülle und Leere sind wichtige Faktoren, die einen oberflächlichen Puls hervorrufen können.  Die Zusammenhänge werden hier dargestellt.


Oberflächliche Pulse

Oberflächliche Pulse sind Pulse, die man ohne jeglichen Druck fühlen kann. Die untersuchenden Finger liegen ohne Druck auf der Haut auf. Kann man den Puls so fühlen, handelt es sich um einen oberflächlichen Puls.

Oberflächliche Pulse können zwei Ursachen haben:

Entweder ein schnelles und kräftiges Zusammenziehen des Herzens erzeugt eine hohe Pulsamplitude, die das Blutgefäß so stark „ausbeult“, daß man die Pulswelle oberflächlich fühlen kann.

Oder es ist nur sehr wenig Gewebe über dem Blutgefäß vorhanden. Dadurch kann man den Puls auch schon bei normaler Pulswelle oberflächlich fühlen.

Oberflächliche Pulse können sich stark/hart oder schwach/weich anfühlen.

Ein starker oberflächlicher Puls wird meist durch eine Fülle Situation verursacht. Der starke Körper kämpft an der Oberfläche mit einem äußeren Faktor oder es besteht eine Situation mit Fülle Hitze im Inneren.

Schwache oberflächliche Pulse entstehen durch eine Leere Situation. Durch Leere von Yin oder Jin Ye (Körperflüssigkeiten) ist die Kontraktion des Herzens relativ zu stark. Durch eine nur dünne Gewebestruktur bei Mangel kann man auch normal starke Pulse oberflächlich fühlen. Es kann auch sein, daß ein schwacher Körper gegen einen äußeren Faktor ankämpft. Durch gleichzeitiges Vorliegen von Fülle und Leere in verschiedenen Aspekten können auch alle möglichen Mischbilder vorkommen.

Oberflächlicher Fülle Puls

Eine hohe Amplitude sorgt für den oberflächlichen Puls. Die Pulswelle flutet steil (schnell) an. Die starke Pulswelle dehnt das Blutgefäß stark auf, so daß man den Puls oberflächlich tasten kann. Häufig ist die Frequenz des Pulses ebenfalls höher als normal.

Oberflächlicher Leere Puls

Wenig materielle Gewebesubstanz über dem Blutgefäß sorgt für den oberflächlichen Puls. Die Pulswelle flutet normal an, aber man kann den Puls trotzdem oberflächlich tasten, weil das Blutgefäß dicht unter der Oberfläche liegt.

Tiefe Pulse

Tiefe Pulse sind nur in der Tiefe mit deutlichem Druck der Finger tastbar. Oft ist der Puls sehr schwer aufzufinden und man braucht etwas Übung, vor allem, um einen tiefen Leere Puls zu finden.

Es kann verschiedene Ursachen für tiefe Pulse geben:

Wenn der Herzmuskel sich nur schwach zusammenzieht, wird auch die Höhe der Pulswelle niedrig bzw. nur in der Tiefe tastbar sein.

Eine andere Ursache eines tiefen Pulses kann auch eine vorliegende Stagnation sein. Bei Stagnation sind die Blutgefäße so angespannt, daß die Pulswelle die Gefäßwände nicht so gut verformen kann und der Puls erst in der Tiefe bei starkem Druck der Finger tastbar wird.

Diese beiden Ursachen des tiefen Pulses lassen sich unterscheiden. Ein durch Schwäche tiefer Puls wird sich weich anfühlen, bei einem tiefen Puls durch angespannte Blutgefäße (Stagnation) fühlt sich der tiefe Puls hart an, ähnlich wie eine Gitarrenseite.

Tiefer Puls bei Schwäche

Bei Schwäche (oder Leere) kann das Herz keine große Amplitude erzeugen, so daß der Puls nur sehr schwer zu finden und nur in der Tiefe fühlbar ist. Der Puls fühlt sich weich an und die Pulswelle flutet flach an.

Tiefer Puls bei Stagnation

Bei Stagnation ist der Puls durch starke Anspannung nur in der Tiefe zu tasten, da durch die Anspannung die Amplitude nicht gut weiter geleitet wird. Der Puls fühlt sich hart an und die Pulswelle flutet oft steil an.

Pulsdiagnose lernen lohnt sich

Anschließend soll die Beschäftigung mit der Pulsdiagnose jedem empfohlen werden. Man kann damit nicht nur verstehen, was in anderen Menschen vorgeht, sondern auch bei sich selbst erkennen in welcher Situation man ist.


Die wesentlichen Prinzipien sind oben erklärt. Durch das Fühlen so vieler Pulse wie möglich, kann man sich auf diesem Gebiet weiter entwickeln.


Übung macht auch hier den Meister.